Im Sommer 1892 in Grünwettersbach: Der Großherzog und der Ratschreiber

Am 11. Juni des Jahres 1892 hatten die Dörfer auf den Höhen zwischen Pfinz und Alb bei Karlsruhe ihren großen Tag. Mit der Fertigstellung der neuen Wasserleitung von Singen her über Mutschelbach und Palmbach nach Grünwettersbach war ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen, und es ist verständlich, dass jedermann sich darüber freute; auch der Landesfürst Großherzog Friedrich in Karlsruhe teilte die Freude seiner Landeskinder. Dementsprechend hatte er sein Erscheinen zur feierlichen Übergabe, die in Grünwettersbach

vonstatten ging, angekündigt. Nur einer im Dorfe war von der Visite des hohen Gastes scheinbar nicht sonderlich erbaut. Es war dies der damals noch Schultheiß genannte Bür­germeister. Zum Empfang musste ja, eine würdige Ansprache vorbereitet werden, und da es mit seinem Redetalent nicht zum besten stand, sah er dem großen Ereignis mit gemischten Gefühlen entgegen. Doch — wozu hatte er einen Ratschreiber, einen der Rede und Worte gewandten Mann? Soll der doch für mich in die Bresche springen, dachte der Schulze, und bald waren sich die beiden über den Rollentausch einig. Die Stunde rückte näher und näher, und zur festgesetzten Stunde hielt der Großherzog in seiner prächtigen, von Rössern gezogenen Staatskarosse seinen Einzug in Grünwettersbach.

Die Dorfprominenz hatte zum feierlichen Empfang mit schwarzem Gehrock und Diplomatenröhre Aufstellung genommen. Der Schultheiß stupste seinen Ratschreiber in die Seite und dieser begriff; es war das verabredete Zeichen. Er lüftete seinen Zylinder, in dessen inneren Tiefe ein Papierwisch mit der wohlgesetzten Begrüßungsrede vorsorglich verwahrt lag. In der Art eines gewandten Redners trug nun der mutige Ratschreiber die fein säuberlich zu Papier gebrachten Gedanken vor und alles schien wie an einem Schnürchen zu laufen. Doch nicht allzu lange, und da erwischte es auch schon den armen Redner. Mag sein, dass ihn die auf ihn gerichteten Augen des erlauchten Gastes oder ein anderer unangenehmer Umstand irritierten, mag sein, dass er die geschriebenen Worte im dunklen Hutinnern nicht mehr recht lesen konnte — kurzum, der Ratschreiber stockte; er verhaspelte sich, wurde nervös, begann zu stottern und zu guter Letzt verlor er gänzlich den Faden und es entstand eine beängstigende Pause. — Aber was da! — Selbst in dieser ausweglos scheinenden Lage war der Redner nicht auf den Mund gefallen. Blitzschnell kam ihm eine rettende Idee. Er wusste sich zu helfen: Kurzerhand griff er in seine Zylinderröhre, riss den vermaledeiten Wisch heraus und streckte ihn dem Landesherrn entgegen und endete seine missratene Rede mit der wuchtigen Aufforderung: „Da, Herr Großherzog, leset Euer Red' selwer!" Und siehe da: schmunzelnd nahm Großherzog Friedrich das Papier wohlwollend entgegen.

Inwieweit Dichtung und Wahrheit in dieser ergötzlichen Geschichte miteinander übereinstimmen, ist nicht feststellbar. Jedenfalls aber ist es historische Wahrheit, dass die neu errichtete Wasserleitung von Singen im Pfinztal her über Untermutschelbach nach Grünwettersbach am 11. Juni 1892 in Anwesenheit des badischen Großherzogs Friedrich l. feierlich eröffnet wurde. Es war die Neuerung in der Wasserversorgung der Gemeinde für diese ein großer Fortschritt zum Nutzen aller. Allerdings erforderte dieser Vorteil von der Gemeinde auch große Opfer.

In den Aufzeichnungen des Gemeindearchives sind sie dargelegt. Da heißt es, dass der Bürgerausschuss schon am 6. 6. 1888 beschloss, vom Überschuss der Sparkasse etwa 1800 Mark zur Herstellung der Wasserleitung zu verwenden. Weiterhin beschloss die Gemeinde am 29. 3. 1893 zur Bestreitung der Wasserleitungskosten und der Kosten für die Erbauung eines Lehrerwohnhauses (Hauptstraße 104) durch drei Jahre Holzhiebe im Gemeindewald vorzunehmen. Am 16. 7. 1894 beschloss die Gemeinde, von der Sparkasse ein Darlehen von 56962,90 Mark zur Bezahlung der Wasserleitung aufzunehmen. Die Tilgung der Schulden sollte mit jährlich 2500 Mark erfolgen. Von der Kreiskasse erhielt die Gemeinde drei Jahre lang (1894, 1895 und 1896) zum gleichen Zwecke einen Zuschuss von jeweils 1778,34 Mark und außerdem einen Staatszuschuss von 1540,95 Mark. Jedenfalls bildeten die Kosten der Wasserleitung eine arge Belastung der damals noch kleinen Gemeinde mit ihren nur 1066 Einwohnern.
(Günther Löffler)


Quelle: Diese Geschichte wurde entnommen aus dem Festbuch der Freiwilligen Feuerwehr Grünwettersbach "Zum 50jährigen Jubiläum 18. bis 25. Mai 1974". Geschrieben von Günther Löffler. Mit freundlicher Genehmigung der Freiwilligen Feuerwehr Wettersbach.